Lucie Raelider: Grundlagen und Versuch einer landsehaftskundi. Gliederung der nördl. algerischen Sahara. 89
Ghardaia, die größte der Mzaboasenstädte, liegt
im Wadi Mzab nahe an seinem Rande in der Nähe
einer Nebentalmündung. (Abb. 7.) Die Masse seiner .
Kalksteinhäuser drängt sich überaus malerisch um
einen einzelnen, niedrigen Zeugenberg im Wadi. Die
zum Teil gelben, zum Teil weißgetünchten Gebäude
steigen etagenförmig, eins das andere überragend, an den Hängen empor und finden auf der Gipfelplatte
ihre Krönung in dem hohen, obeliskartigen Turm der Moschee. Über den Fuß des Zeugen quillt das
Häusermeer nach allen Seiten in die ebene Sohle des Wadi hinaus und hat wenigstens teilweise die
siebentorige Mauer, die einst die ganze Stadt umgab, durchbrochen. Kein Baum ragt aus den engen
Gassen oder den Höfen empor, die keinem Hause fehlen. Man sieht aber vielfach schöne Bogen
hallen im Erdgeschoß der kastenförmigen Häuser. Es scheint, daß die ältesten Stadtteile auf dem Hügel
liegen, und daß die jüngeren — Jahresringen vergleichbar — sich um diesen Kern legen. Am Rande
der Stadt stehen schöne, zum Teil mehrstöckige Gebäude, wohl Karawansereien, Marktgebäude u. ä.
Festung und Kaserne liegen der Stadt gegenüber auf einem Berg.
Zwischen der Stadt und dem steilen, völlig kahlen Plateaurand, der durch zahlreiche, freigefügte
Nebentäler in Zwischentalsporne aufgelöst ist und vor dessen Fuß eine hohe Schuttböschung liegt, sieht
man im Flußbett kleinere Palmengörten, die in lockerer Reihe die Verbindung mit der etwa 2 km ent
fernten Oase Ghardaia herstellen. Das Flußbett hat schroffe, aber nicht sehr tiefe Ränder aus anstehen
dem, sehr harten, zuckerkörnigen Kalkstein, der von gelben Mergeln mit Kalksteinknollen unter
lagert wird. Im Flußbett selbst liegen Flußsand, Schotter und Kies, der in einigen Gruben abgebaut
wird. Zwischen Ghardaia und El Ateuf steht immer wieder dieser sehr harte Kalk an, der zum Teil
vom Wasser glattgeschliffen und meist mit dicken Gipskrusten überzogen ist. Einige Ziehbrunnen
mit Seilwinde dienen nur zum Wasserholen, nicht der künstlichen Bewässerung. Für diese scheint ein
kleiner Staudamm im Flußbett aus Abfall, Müll usw. erbaut worden zu sein. Im Flußbett sind in der
Nähe der Gärten auch kleine Felder angelegt worden, auf denen Gerste gebaut wird.
Die Palmengärten ziehen sich hauptsächlich auf der Nordseite des Tales hin, nahe dem Plateaurand.
Später entwickelt sich dann breit die Oase in dem ganzen Tal und zieht sich bis Bou Daya hin 21 ). Die
Flußwasseroase Ghardaia ist nicht einheitlich. Man kann zwei verschiedene Kulturarten und damit zwei
verschiedene Kulturlandschaftsteile unterscheiden: a) die ungeschützte Flußbettoase, b) die geschützte
Sselloase. Die Pflanzungen von Ghardaia, Melika, Bou Noura und El Ateuf scheinen ineinander über
zugehen, und es ist deshalb möglich, daß hier einige charakteristische Züge, die etwa der Oase Ghardaia
zugeschrieben werden, vielleicht in einem anderen Abschnitt, wie dem von Bou Noura besonders aus
geprägt sind.
Abbildung 7
Die Lage der Stadt und
Oase Ghardaia im Wadi
Mzab.
Nach Passarge, Tagebuch 10. X. 07.
a) Die ungeschützte Flußbettoase.
Wie bereits oben dargestellt, liegen Teile der Palmenpflanzungen und Felder im Flußbett. Sie wer
den bei jeder Hochflut völlig überschwemmt, aber die Palmen tragen keinen Schaden davon. Die künst
liche Bewässerung wird durch Ssagir genannte Brunnen bewerkstelligt. Über eine zwischen zwei Stein
wangen befestigte Rolle läuft ein Seil, an dessen einem Ende ein Ledersack hängt, der von Tieren hoch
gezogen und in einen Behälter entleert wird. Von diesen Ssagir führen 20—25 cm breite Rinnen aus
Kalkzement zu .den Beeten und Palmen, die zum Teil sogar in losem Sande wachsen. Die Wassermenge
scheint zugeteilt zu werden. Staudämme im Flußbett, die aber schon fast ganz mit Schottern zuge
schüttet sind, zeugen von der gewaltigen transportierenden Kraft der Hochfluten. Vielleicht aber ist
ihr Zweck gerade, diese Gewalt durch Aufstau- und Schotterabsetzung zu mildern, ähnlich den Stau
wehren in den Gebirgsbächen.
sl ) Passarge, Tagebuch, 10. Oktober 1907.