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Full text: 48, 1929/1930

Dr. Heinrich Lösche: Lassen sich die diluvialen Breitenkreise usw. rekonstruieren? 
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I. Einleitung. 
In hohen Breiten, auf den arktischen Inseln finden sich ausgedehnte Ablagerungen, die nur in 
einem äquatornahen Klima entstanden sein können. In der Nähe des Äquators dagegen kennt man für 
gewisse geologische Zeiten weit verbreitete Blocklehme, die nur als Ablagerungen eines gewaltigen In 
landeises gedeutet werden können. Am besten sind ohne Zweifel diese auffallenden Tatsachen mit der 
Annahme zu erklären, daß der Pol seine Lage im Laufe der geologischen Perioden verändert hat. 
Wegener und Koppen (52*) haben auf Grund der Ablagerungen, die man für bestimmte 
Zeiten auch bestimmten Klimazonen zuordnen kann, den Versuch unternommen, die sich ändernde Lage 
des Pols von Karbon bis Tertiär zu bestimmen. Einer groben Untersuchung vermag diese Festlegung 
der vergangenen Polbewegung wohl standhalten. Jedoch je genauer unsere Kenntnisse werden, um so 
weniger ist das der Fall. Das gilt in verstärktem Maße für die letztvergangene Erdperiode, für das 
Diluvium. Von einem für die Erdgeschichte sehr kurzem Zeitraum sind uns eine Unmenge Tatsachen 
bekannt. Der Pol bewegte sich in dieser Zeit nach der Meinung Wegeners auffallend rasch, von Alaska 
über Südgrönland zu dem Orte, den er heute einnimmt. 
Alle Argumente, die von Wegener für diese diluviale Polveränderung angeführt werden, lassen 
auch eine andere Erklärung zu. Sie sind zu unbestimmt; man kann ihnen vielleicht entnehmen, daß 
eine Änderung stattgefunden hat, vielleicht auch in welcher Richtung, aber wohl nie in welchem Maße. 
Man bleibt auf Schätzungen angewiesen. 
Die Zweifel würden sich sogleich klären, wenn auf irgend eine Weise die Breitenkreise des 
Diluviums in die Landoberfläche eingraviert worden wären; das würde der Fall sein, wenn die Sonnen 
strahlung, die ja bei westöstlich gerichteten Formen mit verschiedenen Neigungsrichtungen am unter 
schiedlichsten zur Geltung kommt, imstande wäre, gestaltend zu wirken. 
Die Landschaften Mitteleuropas verdanken ihre Ausgestaltung wohl zum allergrößten Teil dem 
Diluvium. Deutlich sind zwei Formengruppen zu unterscheiden, die Passarge mit den Begriffen Vor 
zeit- und Jetzzeitformen wohl am schärfsten erfaßt hat. Nur mit der Klimabesserung vom Diluvium 
zum Alluvium, mit der damit verbundenen Änderung der ausgestaltenden Kräfte sind diese beiden 
Formengruppen zu erklären. 
Es taucht die Frage auf: Gibt es Vorzeitformen, die eine feste Orientierung zur Himmelsrichtung 
besitzen? 
Im vergangenen Jahre machte Professor Passarge den Verfasser auf die kurzen Angaben 
aufmerksam, die S c h o s t a k o w i t s c h (96 S. 420) über die Täler der Frostbodengebiete Sibiriens in 
seiner Arbeit „Der ewig gefrorene Boden Sibiriens“ mitgeteilt hat. Die Frostbodentäler seien dort, so 
berichtet Schostakowitsch, um so ungleichseitiger ausgestaltet, je mehr sie sich dem Breitengrade, und 
um so gleichseitiger, je mehr sie sich dem Längengrade nähern. Gleichzeitig wies Professor Passarge 
auf die ungleichseitigen Täler im Erzgebirgsbecken hin, die bisher ganz ungenügend erklärt waren. 
Kann der Nachweis geführt werden, daß diese ungleichseitigen Täler Vorzeitformen sind, die unter 
ähnlichen Bedingungen sich gebildet haben, wie sie jetzt noch in Sibirien bestehen, und kann festge 
*) Die Zahlen beziehen sich auf den Schriftnachweis S. 36 ff.
	        
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